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Von wegen Entschleunigung - psychische Störungen nehmen zu

Von wegen Entschleunigung – psychische Störungen sorgen auch im Pandemiejahr für Höchstwerte bei den Fehlzeiten

 

Im Jahr 2020 war vielfach die Rede von der Chance zur Entschleunigung durch die Pandemie-bedingten Lockdowns. Die Arbeit im Home-Office und der Wegfall der Arbeitswege führte bei vielen zu mehr Zeit für sich und die Familie. Bei manchen Presseberichten konnte man fast den Eindruck gewinnen, dass fast die gesamte erwerbstätige Bevölkerung (bis auf das Gesundheitswesen und den Einzelhandel) in einen erholsamen Dämmerschlaf gefallen sei.

 

Die Statistiken der Krankenkassen besagen jedoch etwas anderes. Laut Angaben der Techniker Krankenkasse sank zwar der Krankenstand in 2020 gegenüber dem Jahr 2019 von 4,22 % auf 4,14 %. Dieser Abfall bei den Fehlzeiten lag vorwiegend an einem deutlichen Rückgang der gemeldeten Fälle von Arbeitsunfähigkeit. Durch die allgemeinen Hygieneregeln kam es zu weniger Erkältungskrankheiten als in anderen Jahren. Gleichzeitig dauerten die Krankheitsfälle im Durchschnitt länger als im Vorjahr.

 

Ursächlich für diesen Krankenstand sind vorrangig die psychischen Störungen. Diese Krankheitsgruppe ist nach wie vor die bedeutsamste für die Fehlzeiten. Der Trend hält seit vielen Jahren fast ungebrochen an.

 

Auch der Gesundheitsreport 2021 der Techniker Krankenkasse beschäftigt sich mit den Folgen der Corona-Pandemie auf die Psyche. 42 Prozent der Menschen fühlten sich im zweiten Lockdown (März 2021) stark bzw. sehr stark von der Corona-Situation belastet. Die Belastung war gegenüber dem Vorjahr noch einmal deutlich gestiegen: zu Beginn der Pandemie empfanden 35 Prozent eine starke oder sehr starke Belastung. Dies ist ein Anstieg von 20 Prozent!

 

Neben den fehlenden persönlichen Kontakten, der Sorge um die Erkrankung von nahestehenden Menschen und der Belastung von Familien durch fehlende Kinderbetreuung zählte bei fast der Hälfte der Berufstätigen auch mehr Stress am Arbeitsplatz. Im zweiten Pandemiejahr war insbesondere die Belastung von Berufstätigen im Home-Office mit Kindern im Haushalt gestiegen.

 

Die These, dass alle entschleunigt arbeiten würden und sich an die Pandemie gewöhnt hätten, stimmt also nicht. Dies liegt auch daran, dass die Lockdowns zwei Effekte auf das psychische Wohlbefinden haben: einerseits steigen die Belastungen, andererseits fallen wichtige Kraftquellen zum Ausgleich und zum Auftanken weg, z. B. Aktivitäten mit Freunden, Sport, Hobbys oder Kultur.

 

Da das Ende der Corona-Pandemie noch nicht abzusehen ist, gilt es also, sich in Geduld zu fassen und keine unrealistischen Ansprüche an sich oder die anderen zu stellen. Die Menschheit lebt seit 1,5 Jahren in einer psychisch belastenden Ausnahmesituation, bei vielen hat das Stressempfinden deutlich zugenommen.

 

Noch wissen wir nicht, wie sich das Erleben einer Pandemie langfristig auf die psychische Gesundheit auswirken wird. Sicherlich werden sehr viele Menschen Zeit brauchen, um die Erlebnisse zu verarbeiten und ihre Kraftreserven wieder aufzufüllen. Diese Zeit sollten wir uns nehmen und nicht voreilig wieder auf ein „Zurück zur Normalität“ pochen.

 

 

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