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Halten lange Arbeitszeiten das Hirn fit oder schaden sie eher?

Der Satz „Use or lose it” beschreibt die Tatsache, dass wir unsere körperlichen und mentalen Fähigkeiten dauernd nützen müssen, damit sie nicht nachlassen. Man könnte also auf die Idee kommen, dass wir auch im höheren Alter viel und lange geistig arbeiten sollten, damit unsere kognitiven Fähigkeiten erhalten bleiben. Einige Experten argumentieren sogar, dass das Hinausschieben des Renteneintritts den geistigen Abbau verringern könne. Der Grund dafür sei die andauernde intellektuelle Stimulation durch die Arbeit.

 

Eine große Studie hat in Australien untersucht, wie der Effekt von unterschiedlich langen Arbeitszeiten auf die kognitiven Fähigkeiten von über 40-Jährigen aussieht. Bislang gab es keine eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu, ob die „Use it or lose it“-Hypothese durch Arbeit auch auf die geistigen Fähigkeiten zutrifft.

 

Arbeit kann durchaus gegensätzliche Effekte produzieren. Einerseits kann sie natürlich zu einer gesteigerten geistigen Aktivität beitragen. Andererseits wissen wir, dass lange Arbeitstage und bestimmte Tätigkeiten Erschöpfung und Stress verursachen können. So könnten die positiven Effekte von einer längeren Lebensarbeitszeit durch die negativen Folgen von geistigem und körperlichem Stress zunichte gemacht werden.

 

Es lässt sich daher feststellen, dass das Ausmaß der geistigen Anregung durch die Arbeit einerseits von der Tätigkeit, also der Qualität der Arbeit abhängt, und andererseits von den Arbeitszeiten, also der Quantität der Arbeit. Die Studie konnte zeigen, dass es eine Schwelle bei der Arbeitszeit gibt, aber der die positiven Effekte auf die geistige Leistungsfähigkeit nicht mehr zunehmen. Bei Arbeitszeiten oberhalb dieser Schwelle werden geistige Fähigkeiten sogar negativ beeinflusst. Bei Männern liegt diese Schwelle bei ca. 25 – 30 Stunden pro Woche, bei Frauen bei 22 – 27 Stunden Arbeitszeit pro Woche. Gerade ältere Arbeitnehmer profitieren besonders von Teilzeitarbeit mit einer Wochenarbeitszeit von ca. 20 – 30 Stunden. Dieser Effekt ist geschlechtsunabhängig.

 

Aus diesen Erkenntnissen lässt sich also ableiten, dass eine späterer Renteneintritt durchaus zum Erhalt geistiger Fähigkeiten beitragen kann. Allerdings müssten dann vermehrt Teilzeitmodelle angeboten werden. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist dies sicherlich auch für Arbeitgeber ein interessanter Gedanke. So könnte die Arbeitszeit älterer Beschäftigter nach und nach verkürzt werden. Das würde für viele Menschen die Attraktivität der Arbeit erhöhen. Mit zunehmendem Alter möchten viele etwas kürzertreten, treffen aber oft auf starre Arbeitszeiten oder feste Vorgaben zum Renteneintritt. Die Altersteilzeit mit einer aktiven und einer passiven Phase wäre aus dieser Sicht nicht empfehlenswert, da die Arbeitszeit nicht schrittweise reduziert wird.

 

Negative Effekte können für die Beschäftigten natürlich darin liegen, das bei einer Verkürzung der Arbeitszeit auch das Gehalt sinkt. Das ließe sich ausgleichen durch eine verlängerte Lebensarbeitszeit. Allerdings sollte ein solches Modell der schrittweisen Arbeitszeitverkürzung nur auf freiwilliger Basis und nach individueller Absprache umgesetzt werden.

 

(Quelle: Kajitani, S., McKenzie C., Sakata, K., „Use It Too Much and Lose It? The Effect of Working Hours on Cognitive Ability”, Melbourne Institute Working Paper Series, Working Paper No. 7/16, 2016)

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